ABRAHAM SAß NAH AM ABHANG
„Halma Sorens ist im Dienst des Schauspielers ergraut. Er ist nicht berühmt, nicht sehr erfolgreich, um nicht zu sagen geradezu ein Existenzminimum.
Dass er immer noch die Pose eines vielbeschäftigten Mimen aufrechterhält, ist ihm zum Lebensziel geworden. Er versucht, sich und anderen vorzumachen, dass er gefragt, geliebt und bewundert ist. Wie viele Gescheiterte, gibt er die Schuld an seinem Versagen allen anderen, nur nicht sich selbst: „…ein Kollege hat gegen mich intrigiert, er hat mich beim Vorsprechen gesehen…“, „…wie ich hereingekommen bin, war alles schon besetzt, ich hätte den Hamlet spielen müssen…“, „…Regisseur zu schwach…die ganze Inszenierung war schlecht…schrecklich wie er dort outriert hat…neben so einem kann man machen was man will…“.
Und so ist er gezwungen Unterricht zu geben, er braucht einfach jeden Pfennig. Sein Schüler Bapulek, ein naiver, fröhlicher, ungekünstelter junger Mann hat keinerlei Neigung zum Schauspielerberuf, wurde aber von seiner ehrgeizigen Mutter gezwungen, ihre eigenen verdrängten Wünsche wahrzumachen. Und so gerät der vitale und von der „Kunst“ bisher Unberührte in die Fänge von Sorens. Alles was Bapulek an Direktheit, an Aussagekraft, an Persönlichkeit und jugendlichem Feuer hatte, geht im falschen Pathos, verfehltem Unterricht und qualitätslosen Lehrmethoden unter. Er wird verhemmt, unnatürlich, gekünstelt und in jedem Wort falsch. Schließlich begreift Bapulek und beginnt sich zu wehren. „Ich will gar kein Schauspieler werden…mit diesem ganzen Mist, den Sie mir beigebracht haben…ich kann ja kein Wort mehr normal sprechen…hören Sie sich doch selbst zu…Sie sind das Unnatürlichste was auf der Welt herumrennt…Sie gehören verboten…aus dem Verkehr gezogen…können’s überhaupt ein Wort normal sagen…?“ „Gott sei Dank habe ich noch im richtigen Augenblick die Kurve gekriegt. Das Theater, das Sie mir da beigebracht haben, hätt‘ mich eh nicht interessiert. Wenn das Theater sein soll. Wenn die beim Theater alle so sind wie Sie, dann gehören die auch in die Klapsmühle. Mit dem Theater will ich wirklich nichts zu tun haben. Die armen Schauspieler, die Sie auf dem Gewissen haben. Das sind doch alles Sprechmaschinen, Sprechblasensprecher, Sprechkrüppel, gehirnlose Monster. Sie gehören verboten.“
Auf diesen Ausbruch reagiert Sorens, eigentlich Hasenbichler, erstaunlich richtig, nämlich mit Ehrlichkeit und Wahrheit. Jetzt bekennt er, dass er nie einen Schüler gehabt hat, dass er nie eine große Rolle gespielt hat und dass sein letztes Angebot eine stumme Rolle im Fernsehen war. Er will sogar das Schulgeld an Bapulek zurückzahlen. Auch er war das Opfer seiner ehrgeizigen Mutter, nur „hat er die Kurve nicht gekriegt“ wie Bapulek. Er hat sich nicht rechtzeitig gewehrt. Das Ergebnis eines mühseligen, langen Schauspielerlebens: „Ich bekomme heute eine Ehrennadel für 40 Jahre Zugehörigkeit zu der Schauspielergewerkschaft.“
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Sprechtheater -
Uraufführung: 31.12.1990, Schauspielhaus Zürich