WALDBRUNN, Ernst / WINIEWICZ, Lida
DIE FLUCHT
Es ist halb drei in der Nacht. Der Schauspieler Karl Anton Winter läutet den Nachtwächter des Theaters heraus. Ein paar Stunden vorher hat Winter fluchtartig die Bühne verlassen. Er hat geglaubt, ein bekanntes Gesicht im Publikum gesehen zu haben, das Gesicht des ehemaligen Gauleiters Dr. Krantz, des „Bluthunds von Polen“. Vor 1945 hat Krantz den Komödianten, Sohn einer jüdischen Mutter, bewundert, ihn immer wieder zu sich eingeladen, ihn geschützt und ihm zur Flucht verholfen. Nach 1945 steht der Kriegsverbrecher Krantz eines Tages vor Winters Tür und bittet ihn für ein paar Tage zu verstecken. Schon oft hat Winter das Szenario durchgespielt. Soll er den Verbrecher ausliefern oder – wie dieser einst ihm – zur Flucht verhelfen? Winter betritt den dunklen Bühnenraum und stellt sich in Rückblenden seiner Vergangenheit.
Basierend auf zahlreichen Gesprächen mit dem Komiker und KZ-Überlebenden Ernst Waldbrunn hat die Dramatikerin Lida Winiewicz in den 60er-Jahren das Stück „Die Flucht“ verfasst. Das Stück wurde im Theater in der Josefstadt aufgeführt und hochgelebot. Der Theaterkritiker Gotthard Böhm bezeichnete Anfang der 80er-Jahre das Stück – neben „Der Herr Karl“ von Qualtinger/Merz – als das „gelungenste Exempel dramatischer Vergangenheitsbewältigung auf der österreichischen Szene seit 1945.“
3 D 7 H
Sprechtheater - Schauspiel