DIE KANTINE
Die Kantine ist in jedem Theater der Welt Zufluchtsort, Arena für öffentliche und
private Auseinandersetzungen, Diskussionsforum, Schauplatz für Leidenschaften aller Art. Ein Fremder würde glauben, in einen (Alp-)traum geraten zu sein. Menschen aus den unterschiedlichsten Epochen in monströsester Verkleidung bestellen ihr Bier an der Theke.
Bei Wolfgang Bauer memorieren die Schauspieler des Habsburg-Stücks über Johann Orth „Die Elemente“ je nach Temperament ihren Text. Der Intendant heißt nicht umsonst Horst Schludermann und ist aus Deutschland, Tatjana Interprescu muß radebrechend ihr Regiekonzept verteidigen, Starschauspieler und Theatersternchen stehen in rätselhaften Beziehungen. Bunter und vielfältiger kann das „reale“ Leben nicht sein, hier spielt sich auf kleinstem Raum und in kurzer Zeit ab, was „draußen“ Jahre und Generationen dauert.
Zu all dem gelingt es Bauer, lächerliche völkische Auseinandersetzungen auf Schauspieler und ihre Herkunft zu übertragen. Schließlich prügeln sich die Österreicher/Habsburger/Johann Strauß und die Deutschen/Schludermann/ Coburg. „Johann Strauß intoniert einen Walzer, Coburg würgt ihn, Strauß zerschmettert seine Geige auf dessen Schädel. „Sägmann: „Jetzt ist es hin, euer Violinchen!“, Holm: (gibt Sägmann einen Haken) „Du Kunstnazi!“.
Weil wir am Theater sind, ist dieser ethnische Kampf sehr bald vorbei und der Autor Bierhoff staunt: „...was mein Stück alles auslösen kann... gar net so ungefährlich, die Literatur.“ Schließlich tritt noch Otto von Habsburg mit Sohn Karl und dessen Frau Francesca auf - und ist sehr gütig. Leider muß er ins Europaparlament nach Straßburg, „aber Karl kann bleiben“.
Am Ende ist die Kantine wieder leer, der debile Schankgehilfe Otto hat sich als Johanna verkleidet, ein Kästchen erinnert an Mayerling, selbstverständlich ist es leer – Theater... Nur der rührende alte Autor glaubt unverdrossen an die historische Bedeutung seines Stücks – und hat schon ein neues im Kopf...
6 D 17 H
Sprechtheater - Schauspiel
Uraufführung: 8.5.1993, Schauspielhaus Graz